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Die Foto-Serie »Die Flut« entstand im Sommer 2021 kurz bevor und während der Jahrhundertflut im deutschen Ahrtal. Obwohl der Titel der Serie und der Zeitraum der Entstehung darauf schliessen lässt, dass die Serie vornehmlich die ökologische Bedrohung und deren Folgen untersucht, steht vielmehr das Thema der Lebensfreude im Vordergrund.
Wasser als Element ist lebensspendend, doch zugleich kann es uns töten. Wir können in einem Moment darin schwimmen und spielen und im nächsten darin ertrinken.
Die Idee, bedrohliche Motive und Elemente mit freudvollen Bildern zu vermischen und diese gleichwertig in lebendigen, kontrastreich komponierten Farben zu gestalten, zielt darauf ab Lebensfreude zu motivieren und dem Umstand der Bedrohung der wir begegnen müssen zu trotzen.
Darüber hinaus thematisieren die Bilder das Wasser als visuelles Element, das je nach Zustand, Licht und Perspektive zu einem anderen Material zu werden scheint… in einigen Bildern hart und fest, als sei der darin schwimmende Körper in Acryl gegossen, dann mutet es flüssig und weich an, die Körperformen deformierend und scheinbar auflösend... oder es zersplittert die Formen in zahllose Partikel mit unruhiger, fragmentierender Struktur.
Mit diesen verschieden Bereichen, spannt die Serie einen Bogen von überwiegend narrativen Motiven, wie »Business Trip«, »Just Married« oder »Body Floating« hin zu Ausführungen wie »Ascension«, »The Groom« oder »Woman« in denen die abstrahierenden, visuellen Eigenheiten des Wassers im Vordergrund stehen.
Chimäre
Markus Rocks Fotoserie »Chimäre« von 2019 ist in erster Linie eine skulpturale Arbeit. Zwei Tänzerinnen, Julia und Siri, mit verblüffend ähnlicher Erscheinung, choreographieren die Verschmelzung ihrer Körper und erzeugen die Illusion neuer eigenständiger Wesen.
Die Performance geht von der Spiegelung einzelner Körperteile bis hin zur kompletten Verschränkung zweier Wesen, zärtlich, ekstatisch, konfrontativ und bedrohlich. Ihre Darstellung wird zur Projektionsfläche, auf der wir selbst in einer Vermischung aus Wahrnehmung und Vorstellungskraft die absurd, bisweilen grotesk anmutenden »Chimären« erzeugen. Bei genauerer Betrachtung lösen sich diese Kreaturen wieder auf und verwandeln sich zurück in ihre Bestandteile uns bekannter Körperteile.
Mensch sein
Der Mensch, so hat es der Religionsphilosoph Martin Buber formuliert, wird letztlich nur am Du zum Ich. Ein dialogisches Prinzip, das besonders die Arbeiten von Markus Rock durchzieht. Erst im Gegenüber verliert das Ich seine narzisstische Struktur. Es erfährt Reibung und Widerstände.
Ralf Hanselle (im Katalog zur Ausstellung »Leib«)
Foto: B. Reich
Claudia Stein
Einführung in die Fotografie von Markus Rock
Im Mittelpunkt der fotografischen Werkes von Markus Rock steht die Frage, was es in der heutigen Gesellschaft bedeutet, Mensch zu sein. Seine frühen Serien zeigen nackte weibliche und männliche Körper wie schwebend auf schwarzen Flächen und konfrontieren uns so mit verschiedensten Zuständen individueller Körperlichkeit. Sie thematisieren aber gleichzeitig auch die universelle menschliche Sehnsucht nach Nähe und bedeutsamen Beziehungen. Der menschliche Körper, so Rocks These, ist eine Landschaft, in der die täglichen Kämpfe um menschliche Identität und Individualität – individuell und kollektiv – eingeschrieben werden.
Die ultra-realistische Ästhetik von Rocks Fotografien kann den Betrachter zutiefst beunruhigen, da in jedem Bild die Grenze zwischen der physischen Realität des Körpers und seiner visuellen Repräsentation offen, porös und undefiniert erscheint. Rocks kraftvolle Bilder berühren den Betrachter deshalb so tief, weil sie uns zwingen, uns daran zu erinnern, dass die Kämpfe und Auseinandersetzungen um das Menschsein, die wir bei ›dem Anderen‹ beobachten, immer Bestandteil unserer eigenen Identitätssuche sind.
Auch in seinem jüngsten Werk beleuchtet Rock die verschiedenen Bedeutungen des Menschseins in der heutigen globalen Welt. Was ihn hier aber nun besonders interessiert ist die Rolle der materiellen Dinge im Erleben des menschlichen Seins. Verweisen Dinge auf mehr als ihre Dinglichkeit und ihren unmittelbaren Gebrauchswert?
In seiner Suche nach den Bedeutungsdimensionen der Dinge ist Rock vom klassischen Genre der Vanitas-Stillleben inspiriert. Die eindrucksvoll realistischen und sorgsam arrangierten Bilder kamen im Goldenen Zeitalter der niederländischen und flämischen Kultur im 16. und 17. Jahrhundert in Mode und schmückten die Salons der Kaufmanns- und Bürgerschicht. Der Reichtum der Mäzene wurde hier ganz öffentlich zur Schau gestellt, und sie feierten den Menschen, seinen Erfindungsreichtum und künstlerischen Fähigkeiten, in dem sie kostbare Kunstgegenstände und seltene Kuriositäten der Natur mit alltäglichen Gebrauchsgegenständen kombinierten: Blumen, Brot, Käse, Obst und Gemüse, Bücher, Juwelen, goldene und silberne Weinkelche, wissenschaftliche Instrumente, Karten, Spiegel, venezianisches Glas, chinesisches Porzellan, Silberbesteck, indische Stoffe und türkische Teppiche…
Diese opulenten Gemälde waren damals – und sind es noch heute – ein Fest für alle Sinne. Einige der dort dargestellten Gegenstände, wie zum Bespiel die Sanduhr und besonders der menschliche Schädel, verwiesen aber auch auf eine tiefere philosophische und religiöse Botschaft. »Alles ist Eitelkeit« mahnten sie den Betrachter und erinnerten damit an die Vergänglichkeit des menschlichen Lebens. Persönliche Eitelkeiten, das Streben nach Macht oder Reichtum sind bedeutungslos, warnten die Bilder. Der Kern der menschlichen Natur – ewig, unveränderlich – ist die göttliche Seele.
Der christliche Glaube speiste den komplizierten allegorischen Symbolismus der Stillebenkompositionen. Jedes dargestellte Objekt barg eine tiefere, unsichtbare Bedeutung, die der fromme Betrachter zu entschlüsseln hatte. Nur auf den ersten Blick feierte ein Vanitas-Gemälde daher weltliche Besitztümer und menschlichen Innovationsgeist. Ihre überfließende Dinglichkeit zielte im Grunde darauf ab, die Betrachter spirituell zu berühren und ihren Glauben zu festigen.
Eine einzigartige Ästhetik vermittelte diese Mehrdeutigkeit der frühneuzeitlichen Gemälde, von der sich auch Rock zu seinen sorgfältig inszenierten 12 Vanitas-Fotografien inspirieren ließ. Aber seine dunklen Kompositionen, in denen sich viele Anspielungen auf die traditionelle Vanitas-Symbolik finden lassen, verweisen nicht nur auf die Vergangenheit sondern insbesondere auf die Gegenwart. In jedem seiner Bilder findet sich zum Beispiel ein Totenschädel (er spielt bereits in den frühneuzeitlichen Vanitas Bilder eine zentrale Rolle), in einer sorgfältig komponierten Szenerie aus zeitgenössischen Konsumgütern. Oftmals enthalten diese Konfrontationen eine Prise Humor. Arrangements wie die »Unterhaltung« des menschlichen Schädels mit einer leeren und scheinbar hastig weggeworfenen Chipstüte oder die Kollektion ramponierter Plastikspielzeuge sind sogar lustig. Aber das Lachen bleibt uns im Hals stecken. Man fragt sich unwillkürlich, was es in unserer globalen Konsumgesellschaft bedeutet, Mensch zu sein.
Was sind und können wir als Menschen sein, wenn wir nichts anderes konsumieren als billige Massenware, die dann auf dem Müll landet? Was bleibt von dem Glauben unserer frühneuzeitlichen Vorfahren an die einzigartigen Fähigkeiten des Individuums, die sie in ihren Vanitas Bildern so glühend verehrten? Ist der Totenkopf eigentlich immer noch ein verständliche Mahnung an die Vergänglichkeit des Lebens in einer Gesellschaft in der die kognitiven Biowissenschaften uns versprechen, bald in der Lage zu sein, das Geheimnis des ewigen Lebens in unserem Gehirn zu entschlüsseln? Was bleibt von den gepriesenen irdischen Genüssen in den frühneuzeitlichen Vanitas Bildern, wie die einer köstlichen Mahlzeit, wenn sie in aller Eile aus einer Plastikverpackung verzehrt wird? Hat die materielle Welt für uns wirklich keine tiefere Bedeutung mehr? Verweist sie nur noch auf den unmittelbaren Gebrauchswert der Dinge?
Rocks Vanitas-Bilder feiern die menschlichen Sinne und das Sein und doch lassen sie uns mit ihrem Verweis auf den unaufhaltsam wachsenden Konsum einer globalen Trash-Kultur gleichzeitig verunsichert zurück. Für den Betrachter bleibt die alte Frage: Wer bin ich in all dem?
Jan Großer
Markus Rock – Das Ich und das Andere
Der menschliche Körper ist, je nach Perspektive, ein Objekt und gleichzeitig die Behausung des menschlichen Subjekts. Seine physische Existenz stellt seine Grenze dar, hinter welcher das Subjekt geborgen oder gefangen ist in einer Art von existentieller Einsamkeit. Nie werde ich wirklich fühlen können, was mein Gegenüber fühlt; nie werde ich seinen Platz einnehmen oder ganz mit ihm vereint sein können. Es wird für mich immer das Andere bleiben, das Unergründliche. Doch ist der Körper auch das Mittel, mit diesem Anderen in Kontakt zu treten, und diese mit unserer Geburt erworbene Einsamkeit zumindest partiell zu überwinden. Denn die Begegnung mit dem Anderen taucht mich in eine Wolke von Sinneseindrücken – seine Stimme, seine Berührung, seine Wärme oder Geruch – welche emotionale Spuren in mir hinterlässt, die letztendlich als Erinnerungen integriert werden. So wird das Andere Teil meiner Selbst und ich von ihm und wir durchbrechen so unser Gefangensein in uns selbst.
Doch stellt das Eindringen des Anderen in mich auch eine Bedrohung dar. Ich kann das unergründliche Andere weder ganz kennen noch kontrollieren. Wird es mich verletzen, emotional oder körperlich, oder mich so sehr überwältigen, dass ich nur noch das Andere fühle und denke und nicht mehr mich selbst? In der Sehnsucht nach Vereinigung mit dem Anderen und der Furcht vor ihm gerate ich in einen Zwiespalt.
In seinen aktuellen Arbeiten beschäftigt sich Markus Rock mit diesem Dilemma, dem menschlichen Körper und der ihm innewohnenden Ambivalenz. Rock dekliniert hier einige der unendlich vielen Konstellationen dieses Konflikts. In seinen Bildern erscheinen die Körper in einem kontextlosen Vakuum – in ihrer Nacktheit und vor dem schwarzen Hintergrund – reduziert auf ihre reine Körperlichkeit, als Objekte, doch in der Begegnung mit dem Betrachter dann auch subjekthaft. Während die liegende Frau mit den geschlossenen Augen noch als passives Objekt fremd und verschlossen bleibt, treten die Männer, welche direkt in die Kamera blicken oder auch gezielt von ihr weg, deutlich als handelnde Subjekte in Erscheinung. Andere Figuren dagegen bleiben mit ihrem eigenen Körper als Objekt oder ihrem inneren Erleben beschäftigt – der tätowierte, vom Betrachter weg schreitende Mann, die Frau, welche sich an den Haaren zieht und die Frau, welche sich zwischen ihre Pobacken greift, der Mann, welcher seinen Kopf in den Händen hält. Auch in dieser Beschäftigung mit sich selber offenbaren sich diese Figuren als Subjekte, also als erkennende, selbstreflektierte Wesen.
In den Bildern von den Paaren wird schließlich die Begegnung mit dem Anderen als ein ständiges Ringen miteinander gezeigt. Dabei stellt sich die Frage nach Macht – in Form des Eindringens, des Besitzergreifens, des Ausübens einer Kraft auf den Anderen – sowie die Fragen nach Identität – Wer bist Du? Wie funktionierst Du? Wie reagierst Du auf mich? Wie belastbar bist Du, wie belastbar bin ich? Dieses spielt sich ab vor dem Hintergrund des Konfliktes zwischen der Sehnsucht nach und der Furcht vor dem Anderen, zwischen Nähe und Distanz, dem Grundkonflikt aller menschlichen Beziehungen.
Wenn die Figuren direkt in die Kamera schauen, sozusagen mit dem Betrachter in Blickkontakt treten, wird schließlich besonders deutlich, was allen Bildern innewohnt. Hier begegnet auch der Betrachter selbst dem unergründlichen Anderen. Die Figuren sind fremd und nur als Bilder präsent, doch lösen sie in ihm Gefühle oder Gedanken aus – erotische, sehnsuchtsvolle, frustrierte, zwiespältige – und hinterlassen Erinnerungsspuren, wodurch sie die Distanz zwischen betrachtetem Objekt und betrachtendem Subjekt überwinden. Der Betrachter mag sich dabei stellenweise sogar als das Andere erleben, welches er ja auch für sein Gegenüber ist, das heißt, sowohl als erkennendes wie auch erkanntes Selbst.
Eine Lösung dieses Dilemmas kann es nicht geben, und Markus Rock präsentiert auch keine. Jeder Mensch erlebt sich in dem Zwiespalt aus erkennendem Geist und körperlichem Objekt, als ein Ich und als das Andere. Jede Begegnung mit einem anderen Menschen ist das Feld, auf welchem dieser Konflikt aufs Neue inszeniert wird. Schmerzhaft, wie das oft sein mag, bleibt es doch unsere einzige Hoffnung.
Hier finden sie ein Videoportrait von Frank Bertram über den Werkkomplex »Das ich und das andere«. Der Film entstand während der Ausstellung in Berlin.
Ein PDF der Presseerklärung zur Ausstellung »Das ich und das andere« – mit einer druckbaren Fassung des Textes – kann hier in Englisch oder Deutsch heruntergeladen werden.